Regionalgruppe Köln

Offener Brief an Herrn NRW-Ministerpräsident Wüst

27. Dezember 2021 | Chemie, Flüsse & Gewässer, Lebensräume, Nachhaltigkeit, Umweltgifte

Auswirkungen der Explosion bei der Fa. Currenta, Leverkusen– Einleitungen in den Rhein – Fragen zu Löschwasserbehandlung – Beschwerde über Umgang der staatli-chen Behörden mit Verbänden und Öffentlichkeit.

Rheinverschmutzung durch Currenta wurde verschleiert – Aufklärung und Konsequenzen gefordert! Rheinverschmutzung durch Currenta wurde verschleiert – Aufklärung und Konsequenzen gefordert!  (Paul Kröfges)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

1. Grundsätzliches
Die Explosion bei Currenta/Leverkusen und deren Folgen bewegen zahlreiche Menschen in der Region, die sich zu Recht Sorgen machen über den Umgang der betroffenen Firma mit dem Betrieb ihrer Anlagen, dem Ablauf und dem Management des Explosionsunglückes aber auch über die mangelnde Transparenz bei der Aufklärung entstandener Belastungen der Menschen in der Region, aber auch von Luft, Boden und Wasser.
Das Verhalten der Firma Currenta , die erst auf massiven öffentlichen Druck hin entstandene Belastungen des (Rhein-)Wassers einräumen musste, ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite ist das absolut unbefriedigende Agieren der Behörden des Landes einschließlich des zuständigen Ministeriums, für die Sie als Regierungschef die letztendliche Verantwortung tragen.
So sind wir beim BUND NRW e.V. außerordentlich verärgert über den Umstand, dass eine Anfrage unseres Verbandes nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG), in der die erheblichen und brisan-ten Belastungen des Kläranlagenablaufes der Leverkusener Anlage (Bürrig) dargelegt wurden dies-bezüglich bis heute (4-Wochen Frist vergangen!) nicht beantwortet wurde.

Es ist darüber hinaus nicht nachzuvollziehen, dass diese Darlegung nicht Anlass einer unmittelbaren Reaktion der angeschriebenen und beteiligten Behörden wurde, da hier doch offenbar wurde, dass entgegen bisheriger Darstellungen nicht unerhebliche Giftstoffeinleitungen in den Rhein über die Kläranlage Bürrig erfolgten.

Wir wissen zur Genüge, dass nach den gesetzlichen Vorgaben die Behörden 4 Wochen Zeit zur Beantwortung einer UIG Anfrage haben, aber in diesem Fall fehlt uns jedes Verständnis dafür, dass hier nicht unmittelbar ein Versäumnis erkannt, eingeräumt und durch zügiges, proaktives Handeln für Klarheit gesorgt wurde.

Tatsächlich ist erst durch Druck aus der Öffentlichkeit – Anfragen des WDR auf Grund unserer UIG Anfrage – der Tatbestand offenbart und zugegeben worden. Es war und ist erstaunlich, wie schnell dann seitens Currenta aber auch von Bezirksregierung und LANUV umfangreiche und detaillierte Antworten in Tages-, teils in Stundenfrist gegeben wurden! Das demgegenüber die Anfragen ehrenamtlich engagierter Mitglieder unseres Verbandes, die den Tatbestand durch eigene und kompetente Recherchen erst ermittelt haben, wie so oft auf die lange (UIG-) Bank geschoben wurden, sehen wir als eine Missachtung dieser Arbeit an, die im Ge-gensatz zu der oft beschworenen und behaupteten Wertschätzung steht.

2. Weitere konkrete Fragen zu den Folgen/Konsequenzen der Explosion bei Currenta
Auf Grund der oben beschriebenen Erfahrungen richten wir jetzt die sich neu ergebenden Fragen unmittelbar an Sie, Herr Ministerpräsident und informieren gleichzeitig die Öffentlichkeit (Presse, WDR, Landtag etc.), in der Hoffnung, diesmal nicht wieder 4 Wochen - u.U. ergebnislos - warten zu müssen. Wir gehen hierbei davon aus, dass Sie die betreffenden Behörden zu einer zügigen und korrekten Beantwortung veranlassen werden.

Vorbemerkung:
Spätestens seit der Sandoz-Giftwelle im Rhein vom Nov. 1986 ist die Bedeutung der Rückhaltung von Löschwässern gegenwärtig. Als Lehre aus der Brandnacht bei Sandoz wurden Löschwasser- und Havariekonzepte erarbeitet und in der Chemiebranche schrittweise umgesetzt – siehe insbe-sondere: „Brandschutzkonzept für Chemikalienlager im Hinblick auf den Schutz der Gewässer“ des Verbandes der Chemischen Industrie e. V. (VCI) vom April 1987.

Es kam in der Folge immer wieder zu Unfällen bei der chemischen Industrie mit teils verheerenden Folgen und entsprechenden Löschwasser/-schaum - Einsätzen. Auf der folgenden Seite ist als Beispiel die Berichterstattung des Kölner Stadt Anzeigers vom 14.11.2016 zu der Brandkatastrophe im Chempark von Currenta abgebildet, die sich am Samstag, den 12.11.2016 ereignete.

Es fällt im Vergleich mit dem aktuellen Störfall auf, dass

  • schon damals die Tanks für Löschwasser (Auffangbehälter) von „rund“ 20000 (!) cbm nicht ausreichten
  • im aktuellen Fall (Explosion 2021) laut Currenta 5250 cbm Löschwasser eingesetzt wurden, für die laut Currenta nicht ausreichend Tanks zur Rückhaltung vorhanden waren, daher Einleitung in die Kläranlage erfolgte (laut 1. Aussage der Bezirksregierung Köln gegenüber dem WDR in 4 Teilschritten von 2000-3000 cbm, was aber bis zu 12000 cbm Löschwasser entspräche)
  • bei dem Ereignis 2016 wurde „vorsichtshalber“ Rheinalarm ausgelöst, mit der Begründung „wir wollen ganz sicher sein, ehe wir Entwarnung geben“…

Es ergeben sich daher folgende Fragen, die teilweise gleichlautend an die Firma Currenta ge-stellt wurden:

  1. Wie erklärt es sich, dass bei dem Brand im Chempark von Currenta in 2016 ein Volumen von 20000 cbm Auffangbehältern bereitstand (und nicht ausreichte!) und 2021 nach der Explosion und Brandbekämpfung die Rückhaltung und separate Entsorgung von 5250 cbm kontaminierten Löschwasser auf Grund fehlenden Behältervolumens nicht möglich war? Und wie ist die Diskrepanz zwischen der Aussage von Currenta und der Bezirksregierung zu erklären (5250 cbm gegenüber 4 mal 2 bis 3000 cbm)?
  2. Hat die Vorsorge der Fa. Currenta der nordrhein-westfälischen „Richtlinie zur Bemessung von Löschwasser-Rückhalteanlagen beim Lagern wassergefährdender Stoffe (LöRüRL)“ voll umfänglich entsprochen? Falls dies nicht der Fall gewesen sein sollte, was waren ggf. hier-für die Gründe?
  3. Hat die Bezirksregierung Köln als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde diese Richtlinie, insbesondere nach den Erfahrungen mit zahlreichen Brand- und Explosionsunglücken in der Region, aktiv umgesetzt und hierbei auf ausreichende Rückhaltekapazitäten geachtet?
  4. Haben inzwischen auch andere Chemieparks und Unternehmen in NRW Vorsorge getrof-fen, dass genügend Auffang- und Rückhaltekapazitäten für Lösch- und Havariewässer zur Verfügung stehen, um für ein Worst-Case-Ereignis wie bei Currenta im Juli 2021 ausrei-chend gewappnet zu sein? Nach welchen Kriterien bemisst sich ggf. die Dimensionierung von entsprechenden Rückhaltekapazitäten?
  5. Haben inzwischen die Betreiber von Currenta und/oder der VCI mit Betreibern anderer Chemieparks und die jeweils zuständigen Regierungspräsidien untereinander Kontakt auf-genommen, um Ihre Erfahrungen mit der (ungenügenden) Löschwasserrückhaltung in Le-verkusen an die Chemieparkbetreiber an anderen Standorten weiterzugeben? Damit man anderenorts zumindest im Nachhinein entsprechenden Lehren ziehen kann, um Schadstof-feinleitungen in Gewässer aufgrund großvolumiger Löschwasseranfälle vorzubeugen?
  6. Fungiert Clothianidin als Indikatorchemikalie für eine Palette weiterer Schadstoffe, die mit dem (aufbereiteten) Löschwasser in den Rhein emittiert wurden und werden? Welche wei-teren Chemikalien wurden und werden mit dem (aufbereiteten) Löschwasser eingeleitet? Soweit sich weitere Chemikalien haben analysieren lassen, wäre die Frage, wie viel Prozent oder Promille des refraktären CSB synthetischer Herkunft im (behandelten) Löschwasser damit abgebildet werden?
  7. Wieso wurde bei dem Ereignis in 2021 nicht doch „vorsichtshalber“ Rheinalarm ausgelöst und/oder v.a. die niederländische Seite nicht wenigstens über das Ereignis und v.a. die Ein-leitung nicht unerheblicher Mengen an Giftstoffen – u.a. mind. 60 bis 70 kg eines verbote-nen Neonicotinoids – informiert? Siehe hierzu auch Frage 10. Über den IWAP der IKSR wird aus Fairnessgründen auch über geringere Einleitungen – aucheher unproblematischer Stoffe wie z.B. Röntgenkontrastmittel – gegenseitig informiert.
  8. Wie beurteilt die Landesregierung die Aussagen von Currenta, dass trotz tagelang gemesse-ner Werte von 60 bis 120 μg/l an Clothianidin in einem Abwasserstrom von 3 bis 5000 cbm in der Stunde „nur „geringe Mengen“ an Schadstoffen abgegeben wurden, keine Grenz-wertüberschreitungen vorlagen sowie keine Überwachungswerte der Anlagen überschrit-ten wurden“, insbesondere vor dem Hintergrund der Fragen 9 und 10 ?
  9. Das LANUV hat in einer Antwort an den WDR festgestellt, dass „die im Rahmen des Ereig-nisses untersuchten Abwasserproben eine Belastung mit verschiedenen per- und polyfluo-rierten Alkylverbindungen gezeigt haben, wobei die Summe aller gemessenen Stoffe im an-gesprochenen Zeitraum über 10 μg/l liegt“. Entsprechend den „Bewertungsmaßstäbe für PFC-Konzentrationen für NRW“ muss bei Überschreitungen eine Ursachenermittlung erfol-gen und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Welche Ursache lag vor, welche Maßnahmen wurden eingeleitet?
  10. Darüber hinaus ist unklar, ob die pro Tag eingeleiteten Clothianidin Mengen nicht doch 15 kg pro Tag (Schwelle für Rheinalarm) überschritten haben, da vom LANUV nur zum kurzen Messzeitpunkt die Abwassermenge festgehalten wurde. Wie kann dann von Currenta und der Bez.-Reg Köln behauptet werden, dass diese Fracht nicht doch an einzelnen Tagen erreicht/überschritten wurde und ist/wäre die tagelange Einleitung von mind. 7 bis 10 kg an Clothianidin nicht ausreichend Grund, Unterlieger am Rhein zu informieren bzw. zu warnen, zumal nicht alle Schadstoffe umfassend analysiert werden konnten?
  11. Aktuell hat Currenta mitgeteilt, dass auf Grund einer undichten Klappe zusätzlich über 5 Monate hinweg ca. 1300 cbm des kontaminierten Löschwassers aus einem Tank unbehan-delt in die Kläranlage geflossen sind. Welche Schadstoffe sind in welchen Mengen hierdurch zusätzlich in die Kläranlage und dann in das Gewässer geraten? Wieviel kontaminiertes Löschwasser ist noch vorhanden und wo/wie wird dieses behandelt bzw. entsorgt? Es wird um zeitnahe Übermittlung entsprechender Daten gebeten.

Hierzu Zitat von Currenta: „Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass Stoffe in die Kläranlage gelangt sind, die im Rah-men der Aktivkohle-Filterung noch hätten aufgefangen werden können. Zur Kontrolle der am Ab-lauf der Kläranlage in den Rhein eingeleiteten Stoffe nehmen Currenta und das Landesamt für Na-tur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW) im Rahmen der ohnehin bestehenden Überwachung Proben und analysieren diese. In sämtlichen bisher vorliegenden Analy-sen wurden die Überwachungswerte verlässlich unterschritten. CURRENTA verweist in diesem Zu-sammenhang auf die Darlegungen der Bezirksregierung Köln und die ergänzenden Informationen auf unserer Informations-Website zum Ereignis (www.currenta-info-buerrig.de). Vor dem Hinter-grund der jetzt festgestellten Undichtigkeit wird Currenta das vorhandene Probenprogramm noch engmaschiger gestalten, um sicherzustellen, dass auch weiterhin keine Überwachungswerte über-schritten werden.

Mit separaten Schreiben werden wir Sie, Herr Ministerpräsident, darüber hinaus über weitere Un-zulänglichkeiten des von Frau Heinen-Esser geleiteten Ministeriums informieren, so über die Nichtbeantwortung von Anfragen, dem desolaten Zustand der Wasserabteilung dieses Hauses und der europarechtswidrigen Ausgestaltung des jetzt vorgelegten WRRL – Bewirtschaftungsplanes 2022 – 2027 (Verschiebung von Maßnahmen bis 2039).

Vielen Dank für eine Stellungnahme Ihrerseits und der zügigen Veranlassung korrekter Antworten.

Mit freundlichen Grüßen
Paul Kröfges im Auftrag des BUND NRW e.V.

Der Offene an NRW-Ministerpräsident Wüst Brief als PDF

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