Regionalgruppe Köln

"Wussten Sie schon...?" - Ein Statement zur Wasserkraft in Engelskirchen

21. Februar 2021 | Agger, Energiewende, Flüsse & Gewässer, Klimawandel, Kreisgruppe Rhein-Sieg, Lebensräume, Nachhaltigkeit, Naturschutz, Ressourcen & Technik

Friedrich Meyer, Flussgebietskoordinator des Wassernetz NRW für die Agger, kommentiert in einem Brief an Dr. Gero Karthaus, den Bürgermeister der Stadt Engelskirchen mit 19 Fragen eine Aussage (Frage) auf der städtischen Homepage.

Stauwehr Wiehlmünden: "Umweltfreundliche" Energieerzeugung in Engelskirchen durch Zerstörung eines Fließgewässers, der Agger Stauwehr Wiehlmünden: "Umweltfreundliche" Energieerzeugung in Engelskirchen durch Zerstörung eines Fließgewässers, der Agger  (Paul Kröfges)

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

auf der Homepage der Gemeinde fragten Sie unter anderem:

"Wussten Sie schon, dass durch die Staustufen der Agger im Gemeindegebiet umweltfreundlicher Strom für 3000 Haushalte produziert wird?"

Als Wassernetz NRW Flussgebietskoordinator für die Agger stelle ich in Frage, dass es sich hier um umweltfreundlichen Strom handelt und begründe dies mit einer Reihe von Gegenfragen,

-   die belegen, dass es sich um keinen umweltfreundlichen Strom handelt

-   die nahe legen, die kleine Wasserkraft an der Agger zurückzubauen

-   die die Vision einer frei fließenden Agger mit zurückgewonnnen Auen begründen

1.  Wussten Sie schon, dass das Umweltministerium in NRW  2015 bei der Verabschiedung des Bewirtschaftungsplanes für die Fließgewässer NRWs die problematische Umweltverträglichkeit der Stromproduktion durch Wasserkraft festgestellt hat?

"Zahlreiche Querbauwerke wie Stauwehre, Sohlschwellen oder auch Wasserkraftanlagen führen dazu, dass anstelle der ursprünglichen Fließgewässerhabitate eine Kette von langsam durchflossenen Rückstaubereiche entsteht, die keinen Lebensraum für die in den Fließgewässern heimischen Tiere und Pflanzen mehr bieten. Hinzu kommen in diesen strömungsarmen Bereichen oft nährstoffbedingte Eutrophierungserscheinungen und Temperaturerhöhungen, die sich auch auf die unterhalb gelegenen Gewässerstrecken negativ auswirken. Für Fische und andere Tiere, die sich nur innerhalb des Wassers fortbewegen können, stellen Querbauwerke oft unüberwindbare Hindernisse dar.

Das generelle Bewirtschaftungsziel, den guten ökologischen Zustand bzw. das gute ökologische Potential bis 2015 zu erreichen, ist somit eng an die Verbesserung der Gewässerstruktur und die Durchgängigkeit geknüpft."

2.  Wussten Sie schon, dass deshalb die EU-Kommission im Mai 2020 in ihrer EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 zur Wiederherstellung der Süßwasserökosysteme aufgerufen hat ?

"Um die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen, müssen größere Anstrengungen unternommen werden, damit die Süßwasserökosysteme und die natürlichen Funktionen der Flüsse wiederhergestellt werden. Dies kann durch die Beseitigung oder Anpassung von Barrieren erreicht werden, die die Fischwanderung verhindern, und durch die Verbesserung des Wasser- und Sedimentflusses. Um dies zu erreichen, werden bis 2030 mindestens 25000 Flusskilometer wieder in frei fließende Flüsse umgewandelt, indem in erster Linie nicht mehr in Betrieb befindliche Barrieren beseitigt und Überschwemmungsflächen und Feuchtgebiete wiederhergestellt werden."

3.  Wussten Sie schon, dass die EU-Kommission die Wiederherstellung von Süßwasserökosystemen unterstützt?

"2021 wird die Kommission die Mitgliedstaaten  im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden bei der Ermittlung von Standorten und der Mobilisierung von Finanzmitteln technisch beraten und unterstützen."

4.  Wussten Sie schon, dass die EU-Kommission generell den Appell des Planungs- und Umweltausschusses vom 27.10.2020 an die Bezirks- und Landesregierung unterstützt, dass "das Lachshabitat für den Lachs im alten Aggerbett zwischen Stau Ehreshoven I und Ehreshoven II durch eine zeitnah realisierbare Mindestwasserführung in seiner Funktion gesichert wird" ?

5.  Wussten Sie schon, dass sich das Bundesamt für Naturschutz (BfN)  im letzten Jahr darüber ausgelassen hat (Skript 561 S.32), dass die Energiewende nicht mit dem untauglichen Mittel der  kleinen Wasserkraft vorangebracht werden kann?

"In seinerGrundlagenschrift zur Wasserwirtschaft in Deutschland trifft das Bundesministerium fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit die Aussage, dass nur die 406 Wasserkraftanlagen mit einer Ausbauleistung ≥ 1 MW für den Beitrag der

Wasserkraftnutzung zum Erreichen des Ausbauziels für die erneuerbaren Energien

maßgeblich sind (Jekel et al. 2014: 122). Dem entsprechend ist zu prüfen, in wie weit die rund

7.300 kleineren Wasserkraftanlagen in Deutschland einen signifikanten Beitrag zur CO2-

Einsparung und zur Energiewende für sich geltend machen können. Bei einem fehlenden

übergeordneten gesellschaftlichen Interesse, wäre auch die Basis für das Töten von Fischen

an Wasserkraftanlagen < 1 MW in Frage zu stellen. Bei strikter Anwendung des TSchG wären

daher kleine WKA ohne nachgewiesene funktionstüchtige Fischschutzanlagen ggf. zu

verbieten."

6.  Wussten Sie schon, dass die Stromproduktion aus Wasserkraft in NRW 0,4 % des Stromverbrauchs ausmacht, davon 40% an Talsperren wie der Aggertalsperre, was unumstritten ist und hauptsächlich von den 41 Anlagen mit einer installierten Leistung von > 1MW erzeugt wird und der Anteil der Wasserkraft an den regenerativen Energien durch den Aufschwung der Photovoltaik und Windenergie auf 2,36% (Energieagentur NRW) in 2019 gesunken  ist und immer weiter sinkt?

 

7.  Wussten sie schon, dass der Aggerverband 2016 für eine "umweltfreundliche Stromproduktion" eine Erlaubnis bekommen hat, in der festgehalten ist, dass die Fische, falls sie es überhaupt schaffen, die 200m entfernte Fischaufstiegsanlafge zu überwinden (ein Monitoring wurde nicht verlangt), in den Turbinenuntergraben der Wasserkraftanlage geraten und dort gequält werden? Inwieweit technische Nachbesserungen wie Fischscheuch-Anlagen diese Qualen verhindern werden, bleibt bis zur verlangten Fertigstellung der Anlage in 2022 fraglich:

"Unstreitig ist, dass aufwanderwillige Fische aus der Aggerstrecke unterhalb der Wasserkraftanlage bei Aufwärtswanderung lockströmungsbedingt in den Turbinenuntergraben einwandern. Die Suchbewegung der zumeist potamodromen Arten wird die Fische in ihrer Vitalität schwächen, sicherlich die Fortpflanzungsprodukte negativ beeinträchtigen und zu einer Zunahme an Sterblichkeit bzw. Abnahme eines Reproduktionserfolges führen (ökologische Fitness). Sollten die aufwandernden Fische den Weg ins restwasserführende Mutterbett hin zum Fischweg finden, sind die Tiere hier weiterhin suboptimalen Bedingungen ausgesetzt, die ihre Fitness weiterhin schwächen und die Zunahme der Sterblichkeit zur Folge haben." (aus der Erlaubnis)

8.  Wussten sie schon, dass durch die Wasserkraftanlage Osberghausen, die jahrelang still stand und 2016 eine neue Erlaubnis bekommen hat aber immer noch keinen Strom produziert, die Möglichkeit eines frei fließenden Flusses im Sinne der EU-Biodiversitätsstrategie von der Agger über Wiehlmünden die Wiehl hinauf bis zum Stau Bieberstein in der Nähe der Wiehltalsperre verhindert wird?

9.   Wussten Sie schon, dass die meterdicke Verschlammung der Stauanlagen eine Belastung für die Agger darstellt und wenn die Wehre geöffnet werden müssen, eine verschlammte Agger flussabwärts fließt, wie gerade bei der Öffnung des Wehrs Osberghausen beobachtet werden konnte?

10.  Wussten Sie schon, dass ein großer Teil der CO2 Ersparnis an den Engelskirchener Wasserkraftanlagen durch das gefährliche klimaschädliche Methangas, das sich in den Stauanlagen bildet, "aufgefressen" wird?

11. Wussten Sie schon, dass die Jahresarbeit der Engelskirchener Anlagen 2015 laut der Potentialstudie Wasserkraft NRW 7795 MWh/a betrug und damit durch ein bis zwei Windkraftanlagen ersetzt werden kann?

12. Wussten Sie schon, dass zwischenzeitlich alle sechs Wasserkraftanlagen in Engelskirchen der Aggerkraftwerke GmbH & Co.KG gehören, nachdem die AggerEnergie nach einer Risikoprüfung, zuletzt bei der im letzten Jahr zum Verkauf stehenden WKA Haus Ley, aus guten Gründen vom Kauf der Anlagen Abstand genommen hat?

13.  Wussten Sie schon, dass die Anlagenbetreiber der Engelskirchener Stauanlagen 2013 aufgefordert wurden, bis Ende 2016 sogenannte vertiefte Überprüfungen nach DIN 19700 der Bezirksregierung Köln vorzulegen hatten mit der Zielsetzung, nach Maßgabe Berechnung von Bemessungshochwasserereignissen (BHQ) und der Überprüfung der Erdbebensicherheit, ein Versagen der Anlagen auszuschließen?

14.  Wussten Sie schon, dass bei allen Anlagen in Engelskirchen laut den aktuellsten Überwachungsberichten der Bezirksregierung Köln keine Abschlussberichte der vertieften Überprüfung vorliegen, sie dementsprechend als Inspektionsergebnis alle in die zweitschlechteste Kategorie "erhebliche Mängel" eingeordnet wurden, gleichfalls aber die Behauptung aufgestellt wurde "derzeit liegt keine aktuelle Beeinträchtigung der Sicherheit vor"? Wann hört "derzeit" auf? Bis zum nächsten Hochwasser- oder Erdbebenereignis?

15.  Wussten Sie schon, dass, nachdem sich die Aggerkraftwerke GmbH & Co.KG gegen die Verfügung der Bezirksregierung Köln, das Wasser im Stau Ohl-Grünscheid wegen des maroden Metall-Wehrs abzulassen und dementsprechender Gefahr im Verzug, gewehrt hatte, zur Niederlegung des Staus durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln 2019 gezwungen werden musste?

16.  Wussten Sie schon, dass durch die Niederlegung des Staus Ohl-Grünscheid 2019 und dem anschließenden Winterhochwasser eine natürliche Flusslandschaft, wie man sie sonst in Engelskirchen nicht sieht, gebildet hat und der gute Zustand des Gewässers zwar nicht durch Maßnahmen der für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie verantwortlichen Bezirksregierung Köln, sondern durch ein marodes Wehr erreicht worden ist?

17.  Wussten Sie schon, dass durch die angekündigte Reparatur des Stahlwehrs und den anschließenden Wiederaufstau die herrliche Flusslandschaft gefährdet ist und die Landesregierung bislang nicht zur Hilfe gekommen ist?

18. Wussten Sie schon, dass für die Landesregierung NRW in ihrer Biodiverstätsstrategie von 2015 "ein dringender Handlungsbedarf für den Schutz und Erhalt naturnaher Auen sowie die Wiederherstellung veränderter Auenbereiche" besteht?

"Die Wiederanbindung der Auen an die Flüsse und Bäche und ein auentypischer Wasserhaushalt sind unabdingbare Notwendigkeiten für eine naturraumtypische biologische Vielfalt."

19. Wussten Sie schon, dass durch der Rückbau der Engelskirchener Wasserkraftanlagen auf der Fläche der niedergelegte Stauanlagen umfangreiche Auenbereiche wiederhergestellt werden können und eine naturraumtypische biologische Vielfalt entstehen kann?

Zur Übersicht